Plenum und Hierarchie

Ein paar Gedanken darüber, was bei einem Plenum schlecht sein kann und warum daraus informelle Hierarchien entstehen.

Klar, dass bei jeder Gruppe ein Plenum ein bisschen anders abläuft und nicht alles, was ich hier schreibe, für alle Gruppen gilt. Jede Gruppe hat ihre eigene Kultur, aber manche Strukturen sind trotzdem oft sehr ähnlich. Typischerweise läuft der Entscheidungsprozess ungefähr so ab:

  • Das Plenum findet zu fixen Terminen statt, unabhängig davon welche oder wieviele Themen es zu besprechen gibt.
  • Als erstes werden die zu besprechenden Punkte gesammelt. Eine im Voraus erstellte und ausgeschickte Tagesordnung gibt es nicht.
  • Leichte bzw. unstrittige Punkte werden zuerst behandelt.
  • Das Vertagen von Entscheidungen ist nicht üblich.

Daraus ergibt sich in der Praxis mehr oder weniger zwangsläufig eine Reihe von Konsequenzen:

  • Mangels im Voraus angekündigter Tagesordnung werden Entscheidungen nicht von jenen diskutiert, die davon betroffen sind, sondern von einer zufälligen Gruppe die an dem Termin gerade Zeit hat.
  • Die meisten Plenumsteilnehmer hatten keine Gelegenheit sich mit einem gegebenen Thema in Ruhe auseinanderzusetzen und sich auf die Diskussion vorzubereiten bzw. sich eine unabhängige Meinung zu bilden.
  • Die Gruppe, die ein Thema beim Plenum einbringt, hat einen großen Denkvorsprung gegenüber allen anderen.
  • Eigentlich unstrittige Punkte werden eher zu ausführlich behandelt und die meisten Leute langweilen sich.
  • Ans Eingemachte geht es erst, wenn die Leute bereits müde sind und außerdem schon ein gewisser Zeitdruck vorhanden ist. Das führt leicht dazu, dass zu schnell unausgereifte Kompromisse beschlossen werden oder dass nur mehr die jeweiligen Standpunkte wiederholt werden ohne noch miteinander zu diskutieren.

Entscheidungen brauchen Zeit

Der traditionelle Weg in komplexen Fragen eine Entscheidung zu finden ist:

  • Irgendjemand bereitet ein Paper dazu vor
  • Die betroffenen Leute studieren das Paper
  • Die Leute machen ein Meeting, wo darüber diskutiert wird
  • Erst dann wird eine Entscheidung getroffen.

Heute funktioniert das wohl oft anders: Irgendein Projektleiter kommt unvorbereitet in ein Meeting, bekommt eine PowerPoint-Präsentation an den Kopf geknallt und soll dann innerhalb weniger Minuten eine Entscheidung treffen.

In einem basisdemokratischen Projekt sind alle in der Situation des Projektleiters von oben, aber das macht die Sache auch nicht wirklich viel besser...

Hierarchien

Flache Hierarchien haben, rein praktisch gesehen, den Vorteil, dass mehr Menschen ihre Kritik an einem Vorschlag einbringen können und dadurch die Wahrscheinlichkeit von schweren Fehlern verringert wird. - Also einfach gesagt: Flache Hierarchien führen in der Regel zu besseren Entscheidungen.

Im Gegensatz dazu haben hohe Hierarchien den Vorteil, dass schneller Entscheidungen getroffen werden.

Der bemerkenswerte Punkt ist, dass auf einem Plenum Entscheidungen extrem schnell (Stunden statt Wochen) getroffen werden. - Was heißt das? Gilt der naheliegende Umkehrschluss?

... nicht unbedingt - übereilte Entscheidungen können in jedem Umfeld getroffen werden. Aber eines ist klar: Die Zeit, die auf einem Plenum zur Auseinandersetzung mit einem Problem zur Verfügung steht ist zu kurz. Die logische Konsequenz ist, dass Leute, die ein Thema einbringen wollen, schon im Vorfeld in einer kleineren Gruppe darüber diskutieren und diese Gruppe dann entsprechend vorbereitet zum Plenum geht.

Ich denke dieser Vorbereitungs- und Wissensunterschied ist es, der eine ganz massive informelle Hierarchie aufbaut. Umso schlimmer, wenn in der oben genannten "kleinen Gruppe" jedes Mal ungefähr die selben Leute sind - z.B. weil sie bestimmte Koordinationsaufgaben übernommen haben.

Der Rest wird mit den vorbereiteten Argumenten überrollt.

Zusammenfassung

Die übliche Plenumskultur macht es kleinen Gruppen sehr leicht ihre eigene Agenda (unabsichtlich oder auch absichtlich) durchzuboxen und dabei den Schein einer Konsensentscheidung zu wahren, weil der - unvorbereitete - Rest gar nicht die Zeit hat, was anderes zu tun als alles abnicken oder durchwinken.

Kommentare

Danja meint die nächsten Fragen sind: Was braucht Entscheidungen? Wofür brauchen wir/wer/wann Entscheidungen?


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